Im ersten Jahr ihrer Amtszeit als italienische Ministerpräsidentin ist Giorgia Meloni bisher weitgehend von größeren Kontroversen verschont geblieben. Allerdings geriet sie kürzlich auf der Mittelmeerinsel Lampedusa unter Druck, als Tausende Migranten ankamen und für Unmut bei der örtlichen Bevölkerung sorgten. Diese Entwicklung warf auch für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Meloni auf der Insel besuchte, die Frage einer europäischen Lösung der Migrationskrise auf.
Meloni, die für ihre parteipolitischen Wurzeln im neofaschistischen Spektrum bekannt ist, hat es geschafft, ihre Popularität im ersten Amtsjahr sogar zu steigern. Ihre Partei „Brüder Italiens“ ist derzeit die stärkste politische Kraft in Italien, und Meloni selbst wird für ihre gemäßigte Haltung in der EU-Politik, insbesondere in der Ukraine-Krise, geschätzt.
Dennoch bleiben kritische Stimmen. So hebt der Politikprofessor Piero Ignazi hervor, dass trotz des derzeit ruhigen politischen Klimas noch nicht das gesamte Potential Melonis sichtbar geworden ist. Er warnt davor, sich von ihrem bisher gemäßigten Auftreten täuschen zu lassen.
Innenpolitisch steht Meloni vor Herausforderungen. Ihre Entscheidung, die sogenannte Abschiebehaft für Migranten ohne Bleiberecht auf 18 Monate zu verlängern und von ihnen Kaution zu verlangen, hat für Diskussionen gesorgt. Zudem brachte die Streichung des sogenannten Bürgergelds und der Eingriff in die Familienpolitik, der die LGBTQ+-Gemeinschaft kriminalisiert, Meloni Kritik ein.
Die Opposition befindet sich jedoch im Umbruch und konnte bisher keinen gemeinsamen Nenner finden, um Meloni effektiv entgegenzutreten. Dies könnte sich ändern, wenn Themen wie Migration und innere Sicherheit weiterhin hohe Wellen schlagen. Bisher profitiert die Regierungschefin von günstigen Rahmenbedingungen: eine schwache Opposition, kooperative Bündnispartner und ruhige Gewerkschaften. Doch wie sie sich in einer Krise verhalten würde, bleibt abzuwarten.